175. Geburtstag von Sarah Bernhardt - Die französische Meisterin der Selbstinszenierung (2024)

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Die französische Schauspielerin Sarah Bernhardt galt als größte Tragödin ihrer Zeit - vielen Cineasten ist sie auch heute noch ein Begriff. Mit viel Selbstbewusstsein und Kampfgeist wurde sie zum gefeierten Star. Dabei waren die Voraussetzungen für ihre Karriere damals alles andere als gut.

Von Beatrix Novy | 23.10.2019

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Ja, sie singt. Mit ihrer melodischen Stimme moduliert sie die Verse, von ihren Lippen wehen die Worte wie Seufzer, die der Wind einer Äolsharfe entlockt."
Wenn ein Theaterkritiker poetisch wird, muss schon etwas Besonderes auf der Bühne vorgegangen sein. Den Pariser Journalisten Francisque Sarcey faszinierte an Sarah Bernhardt vor allem: die Stimme. Aus dem Abstand eines Jahrhunderts und technisch verfremdet, lässt sich der Klang von damals nicht ermessen. Silbrig perlend soll er gewesen sein; und was heute schaudernd als Überschuss an Deklamation empfunden wird, galt als große Schauspielkunst. Besonders in der Darstellung einer so übermäßig Leidenden wie Racines "Phädra".

Schauspielberuf war nicht die erste Wahl

Sarah Bernhardt, die weltweit Gefeierte, hatte sich den Schauspielberuf nicht ausgesucht. Geboren wurde sie am 22. oder 23. Oktober 1844 in keineswegs arme, aber prekäre Verhältnisse: der Vater unbekannt, die Mutter eine jüdische Niederländerin, von Beruf Kurtisane, Luxusgespielin reicher Liebhaber. Wie furchtbar Frauen der "demi-monde", dieser luxuriösen Parallelgesellschaft zur bürgerlichen Sphäre, scheitern konnten, das sollte Sarah Bernhard später hunderte Male auf der Bühne darstellen, in Alexandre Dumas' Melodram "Die Kameliendame".

Das Bühnen-Debüt ging daneben

Das Kind Sarah Bernhardt bekam eine Höhere-Töchter-Erziehung, fern der Mutter, deren Freund, ein Herzog von Morny, vermittelte die flügge gewordene 14-Jährige an die Comédie Française. Allerdings ging dort ihr Debüt daneben, und ein für ihr Temperament bezeichnender Streit mit einer älteren Kollegin beendete ihr Engagement abrupt.
Zehn Jahre später, 1872, kehrte Sarah Bernhardt im Triumph an die Comédie zurück. Das Publikum hatte sie inzwischen für sich gewonnen. Sie war Mutter eines Sohnes, über den sie zeitlebens alle Zuneigung und Sorge ausschüttete, die sie selbst entbehrt hatte. Ihr Kind vor der Welt zu verstecken, fiel ihr gar nicht ein. Das Schicksal, außerhalb der bürgerlichen Ordnung geboren zu sein, wendete sich in offensive Selbstbestimmung.
"Sarah Bernhardt wird kontraktbrüchig und führt einen Prozess mit dem französischen Staatstheater! ... Sarah Bernhard eröffnet mit einem Sohn, dessen Vater niemand kennt, ein eigenes Theater! Sarah Bernhardt tritt als Bildhauerin und Malerin auf! Sarah Bernhardt schreibt Bücher!"

"Ich werde mich bis ans Ende meiner Tage nicht ändern"

So schilderte der Schriftsteller und Kritiker Julius Bab befremdet und bewundernd die Zähigkeit, mit der sie sich von Theaterdirektoren und zahlenden Liebhabern unabhängig gemacht hat. Sie spielte gern Männerrollen, gleichzeitig inszenierte sie sich als den Epochentypus der femme fatale, in exotischen Gewandungen und aufwendigen Schmuckgehängen, so wie der Jugendstilkünstler Alfons Mucha sie vielfach porträtierte. Zu Sarah Bernhardts ungewöhnlicher, katzenhaften Schönheit passten die Rollen antiker Herrscherinnen so gut wie die öffentliche Darstellung ihres exzentrischen Privatlebens.
"Ich kann nichts dafür, dass ich unentwegt auf der Suche nach neuen Reizen, neuen Gefühlen bin. Ich werde mich bis an das Ende meiner Tage nicht ändern." Dankbar griff die Presse ihre Ausfälle auf, wie den gegen eine verräterische Kollegin:
"Madame Bernhardt zerschnitt Kissen und Vorhänge und zerbrach bedeutende Mengen Porzellan."
Ihre Skandale, ihre oft berühmten Liebhaber, ihr sagenhaft aufwendiger Lebensstil, ihre Schulden, ihr Hofstaat, ihr Faible für die private Haltung von Großkatzen - alles wurde Teil der Kunstfigur Sarah Bernhardt. Viele Auslandstourneen, mit denen sie häufig Verluste im eigenen Theater ausglich, führten sie um die halbe Welt - sogar in Australien gastierte sie, nicht ohne sich bei der Gelegenheit ein Känguru anzuschaffen.

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Gefeiert und gehasst zugleich

Natürlich bewunderten nicht alle den um 1900 schon veralteten Deklamationsstil der Bernhardt. Zeitgenössisches von Ibsen war nicht ihr Fall. In England feierte ihr erklärter Feind George Bernard Shaw ihre jüngere Konkurrentin Eleonora Duse, behauptete, die Bernhardt spiele nur sich selbst und höhnte:
"Ihre Maske beweist, dass sie sich nicht umsonst mit moderner Kunst beschäftigt hat."

Während Jean Cocteau, der die 66-jährige Bernhardt noch als Kameliendame gesehen und ehrlich bewundert hatte, im Lächerlichen das unverändert Große akzeptierte. Über die 1923 verstorbene Künstlerin schrieb er:
"Sarah Bernhardt hat sich im Leben wie auf den Brettern der Bühne bis zur letzten Faser ihres Wesens ausgelebt. Mit ihrer außerordentlichen Kunst des Inohnmachtfallens hat sie sich in die Arme der ganzen Welt fallen lassen."

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